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Notke Wolf

Bild der Frau-Kolumne (54) (Translation follows below)
Wenn ein Atomreaktor explodiert, wenn Radioaktivität Millionen Menschen bedroht, dann könnte man sagen: Hier wächst dem Menschen seine eigene Technik über den Kopf. Eine solche Katastrophe wäre nicht eingetreten, wenn wir Menschen etwas bescheidener wären. Aber eine  Naturkatastrophe wie die Erdbeben, die Japan heimgesucht haben – wer ist da schuld? Wer ist für einen Tsunami verantwortlich? Gott?
Lange Zeit hat man geglaubt, Naturkatastrophen, aber auch Epidemien oder Unfälle wären eine Strafe Gottes. Noch heute sagt man ja: „Der hat seine gerechte Strafe bekommen“, wenn ein schlechter Mensch plötzlich vom Schlag getroffen wird. Jesus war schon vor 2000 Jahren klüger. In vielen Gleichnissen hat er seinen Zuhörern klar zu machen versucht: Gott greift nicht strafend in die Weltgeschichte ein – die Strafe muss warten bis zum Jüngsten Tag. Und als seine Jünger ihm vom Einsturz eines Turms erzählten, bei dem viele Menschen von Steinen erschlagen worden waren, antwortete Jesus: „Die Getöteten waren keine schlechteren Menschen als ihr.“ Nein, Gott straft nicht.
Jetzt könnte man fragen: Warum lässt Gott solche schrecklichen Dinge überhaupt zu? Aber – ist nicht jeder Tod eines Menschen schrecklich? Stehen wir nicht jedes Mal, wenn ein Mensch stirbt, vor derselben Frage? Warum? Nie wissen wir eine Antwort, immer können wir nur feststellen: Schmerz und Leid sind in der Welt, sie gehören zu unserem Leben wie Freude und Wohlergehen. Die Erde kann ein sehr ungemütlicher Aufenthaltsort sein. Sollen wir jetzt an den guten Tagen an Gott glauben, und an den schlechten Tagen nicht? In jedem Leben gibt es ja beides. Die einzige Antwort, die ich habe, lautet: Der Schmerz und das Leid, die kleinen und die großen Katastrophen sind für mich nur ein Grund mehr, an Gott zu glauben. Denn Glaube, Hoffnung und Liebe geben uns die Kraft, der Verzweiflung zu widerstehen. Weinen dürfen wir mit dem japanischen Volk trotzdem. Weinen und beten gehen im Leben oft miteinander her.
Gott segne Sie. Ihr Notker Wolf
If a nuclear reactor explodes and radioactivity threatens millions of people, then you could say: This ‘man’ has sown the seeds and created the technology for his own destruction. Such a catastrophe would not have occurred if we humans would be more modest. But a natural disaster such as the earthquakes that have hit Japan - who is there to blame? Who is responsible for a tsunami? God?
It has long been believed that natural disasters, epidemics or accidents are punishment from God. Even today they say: ‘He got his just punishment’ if a bad man is suddenly overcome with disaster. Jesus was more intelligent 2000 years ago. In many parables, he tried to make clear to his audience: ‘God is not punitive in the world history - the penalty has to wait until Judgement Day. And when his disciples told him of the collapse of a tower, where many people had been killed by stones, Jesus replied: ‘Those who died were not worse people than you.’ No, God does not punish.
Now one might ask: Why does God allow such terrible things at all?  But is not every death of a man terrible? Are we not faced with the same question each time a person dies? Why? We never know the answer; however we can only conclude: Pain and suffering in the world are part of our life just as happiness and well-being are. The earth can be a very uncomfortable place to stay. Are we now to believe in God only on the good days and not on the bad days? In every life there are both. The only answer I have is: The pain and suffering, the small and large disasters are just one more reason for me to believe in God. For faith, hope and love give us the strength to resist despair. We may still cry with the Japanese people. Weeping and praying often go forth together in life.

God bless you.
Your Notker Wolf

Bild der Frau-Kolumne (55) (Translation follows below)
Japan ist anders. Wenn bei uns etwas Schlimmes passiert, sendet das Fernsehen Bilder von Augenzeugen, die um Worte ringen, atemlos vor Aufregung. Bilder von Betroffenen, die über die schlechte Organisation der Rettungskräfte schimpfen. Bilder von fassungslosen jungen Leuten, die die Welt nicht mehr verstehen. Wenn in Japan etwas Schlimmes passiert – schlimmer, als wir es je erlebt haben –, dann sendet das Fernsehen Bilder von Augenzeugen, die ruhig und ziemlich sachlich in die Kamera sprechen. Bilder von Betroffenen, die stumm den Anweisungen der Rettungskräfte folgen. Bilder von gefassten, von kooperativen Menschen. Japan ist anders. Wie kommt das?
Ein Deutscher rief in den Tagen der Tsunamikatastrophe seinen japanischen Freund an, der im  Katastrophengebiet lebt. Er fragte besorgt, wie es ihm gehe. Und der japanische Freund antwortete: „Bitte kein Mitleid. Wir kommen zurecht. Du kennst uns Japaner – wir ertragen alles. Mach dir keine Sorgen.“ Eine typische Reaktion: Wir ertragen alles. Und so sind auch die japanischen Helden der Vergangenheit. Sie vollbringen keine besonderen Heldentaten, sie beweisen ihre Tapferkeit vielmehr dadurch, dass sie furchtbare Strapazen und Qualen ertragen – ohne zu klagen. Auf gut Deutsch könnte man sagen: Japaner erwarten voneinander, dass ein jeder sich zusammenreißt. Das zum Beispiel ist an Japan anders.
Und noch etwas. Es gibt in Japan ein Sprichwort, es lautet: „Wenn der Frosch das Maul aufreißt, sieht man seine Eingeweide.“ Eine Warnung an alle, die glauben, ihr Innerstes nach außen kehren zu müssen. Die aussprechen, was sie denken, die zeigen, was sie fühlen. Denn was in einem Menschen vorgeht, ist nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Es geht niemanden etwas an. Auch das ist anders in Japan. 
Wir haben in den vergangenen Wochen etwas über Japan gelernt. Wir haben eine Kultur der Zurückhaltung erlebt. Wäre es möglich, dass wir auch etwas von den Japanern lernen können?

Gott segne Sie. <br/>Ihr Notker Wolf

Japan is different. If something bad happens to us, television sends us images of eye witnesses who are struggling for words, breathless with excitement: pictures of actors, who complain about the poor organization of emergency personnel; pictures of the stunned young people who no longer understand the world. Now something bad has happened in Japan - worse than we have ever experienced - and television images we see are of eye witnesses who speak quietly and quite objectively into the camera: pictures of sufferers, who are following  the instructions of the silent emergency personnel; images of cooperative people. Japan is different. Why is that?<br/>A German citizen called his Japanese friend who lives in the disaster area in the days of the tsunami disaster. He sounded anxious – as, indeed, he was. And the Japanese friend replied: ‘Please, no pity. We are getting along. You know us Japanese - we all endure. Do not worry.’ This was a typical reaction - ‘We all bear up.’ And so it was with Japanese heroes of the past. They performed no special feats, they proved their bravery by the fact that they endured terrible hardships and suffering - without complaint. You could say that the Japanese expect from each other that everyone pulls himself together. This is unique to Japan.
And another thing. There is a saying in Japan, it is: If the frog's mouth torn open, you can see his guts." This is a warning to those who feel they have to express what they think or show what they feel that they should keep these things inside, because what goes on in a man is not intended for the public. It's nobody's business. This, too, is unique to Japan.
We have in the past few weeks learned about Japan. We have experienced a culture of restraint. Would it be possible that we can learn something from the Japanese?

God bless you.
Yours,
Notker Wolf